Au Nr. 11, 8. Jahrgang, April 1994. Herausgegeben vom Museumspädagogischen Dienst Berlin.
               1.) Raphaell Kirchner      2. Alphonse Mucha

FIDUS

Hugo Höppner 1871-1948

 

Fidus und seine Mutter im Jägerschen Reformhabit,1889 Ariane, 18jährig. Aus: Schock und Schöpfung, 1986
Maler Hugo Höppner im Jahre des Eiffelturms, 1889. 
Fidus, der Getreue, wird er sich als Künstlernamen zulegen. 

Fidus zusammen mit seiner Mutter. Ein zeitgenössischer Betrachter hätte wohl in diesem ungleich bekleideten Paar eine Allegorie auf den Gegensatz von »Zivilisation« und »Kultur« gesehen. Die Mutter: in schwarzen Rüschen, eingeschnürt im Korsett aus Fischstäben, auf dem Haupt eine Turmfrisur balancierend. Daneben Fidus: Eine Lichtgestalt der Jugend, im freifallenden Kleid, freifallend auch das wallende Haar. Das ist die Zukunft: Freisein von den Zwängen der industriellen Zivilisation, in der diese Frau noch befangen ist als verschnürte Gestalt des 19. Jahrhunderts. Fidus im Jägerschen Wollhabit, dem Reformkleid, ist der Mensch der Zukunft, der wiedergekehrte Germane aus den Wäldern des Grals.

Seit hundert Jahren geht die Ewige Jugend den andern, den neuen Weg und widerruft damit die Ziele der Generation zuvor. Fidus ging zusammen mit der Völkischen Bewegung den sogenannten «Dritten Weg«, den Weg nach der Kreuzung von Kommunismus und Kapitalismus.

Hätte ich als Zwanzigjähriger unter der romantischen Haartracht solcher Männer rechtslastiges Gedankengut vermutet? Nein. Denn Typen wie Fidus hätten mir gefallen. Warum nicht ein bißchen Raubritterromantik mitträumen? Easy Rider, die Leinwandhelden meiner Jugend, vollzogen mit ihren Choppers ja auch so eine Art Landnahme - Richtung Westen.
Fidus, Titelblatt des »Vorwärts«. 1905
Die Auftraggeber des Titelblattes des Vorwärts, des Organs der SPD, zum ersten Mai 1905, hatten zu jenem Zeitpunkt gegen Fidus' Interpretation der Arbeiterbewegung in Gestalten völkischer Hippies noch keine Einwände. Und darauf möchte ich hinaus: auf die Einsicht in den inhaltlich unspezifischen Charakter der Zeichen. Noch immer denken wir klassisch modern, wenn wir glauben, daß einer bestimmten Form bestimmte Inhalte untrüglich innewohnen. Das kann zu verheerenden Fehlschlüssen führen. Etwa zum Fehlschluß, daß die »Jugend« gut sei. Wir brauchen das Wort »Jugendbewegung« und denken sofort an schöne Gesinnungen. Die verdienstvolle Ausstellung des Württembergischen Kunstvereins »Schock und Schöpfung« (1986) dokumentiert nur die »gute« Jugend heute. Wir sehen nur Punks, aber nicht die Repsen. Neonazis gehören nicht zu dem, was wir uns unter «Jugendkultur« vorstellen. Dabei vergessen wir die Tradition der »bösen« Jugend: »Movimento« und »Gioventu« gehörten zum Grundrauschen von Mussolinis Propaganda.

Das Gute wird siegen nach einem letzten Gefecht. Hier ist er: Luzifer, der Lichtbringer, der Führer der Jugend! Nicht zu verwechseln mit Michael Jackson. An der Stirne in Flammenschrift prangt die Hagall-Rune, Zeichen des Allhegens, des Heils über Alles. Fidus, Luzifer Morgenstern, 1894
Luzifer tritt gegen die konventionelle Auffassung auf, er sei des Teufels. Der Name des Bösen verkehrt sich ins Prinzip des Heils - auch das ein gnostisches Konzept. Es entspricht den Strategien der Jugend, im Geist des Mephisto, der das Böse will und dabei das Gute schafft, zu wirken. Konfliktstrategie nannte es die RAF und erschoß den Arbeitgeberpräsidenten. Heute zündet die Jugend ein Asylantenwohnheim an. Sie folgen dabei dem Geheiß des Lichtbringers, wider den Stachel zu löcken, um durch eine große böse Tat den Kampf zu provozieren zwischen dem Antichrist, dem Affen Gottes und dem Allmächtigen. Das Prinzip des Guten würde siegen und damit das Reich der Erlösung in Ewiger Jugend eintreten.

Diese Erwartung auf Ragnarök, auf Weltende und Götterdämmerung, wurde von ganz profaner Geschäftstüchtigkeit begleitet - und das bringt uns Fidus menschlich wieder näher. Hier eine Postkarte für Lebensreform. Fidus war der Designer der Jugendbewegung in all ihren Schattierungen zwischen völkischen Sandalen und dem Mandolinenklang der Wandervögel. Er gab dem Traum der »Jugend« um 1900 bis zum Ersten Weltkrieg den graphischen Umriß, indem er mit ihren Ideen einen schwunghaften Devotionalienhandel betrieb. In diesem Sinne gehört Fidus zu den Erfindern der technisch reproduzierbaren Jugendträume in Form von Postern und Postkarten.

Es gehört zur ewigen Illusion der ewigen »Jugend« zu glauben, man sei eben dabei, die Welt neu zu erfinden. Die Legitimation dazu ist in der Tat auch immer dieselbe: Das Vorrecht der Frühe, die unumstößliche Gewissheit, einen kraftvollen, jungen Körper zu haben, dem die Zukunft gehört. Die Kräfte des Alten wissen im Grunde, daß gegen die »Jugend« biologisch kein Kraut gewachsen ist. Das einzige Mittel, die«Jugend« um ihr Vorrecht zu bringen, ist, ihren Körper zu fesseln durch Verbote. Selbst in der Freikörperkultur.

Ihr Ziel war die »planmäßige Züchtung schöner, rassereiner, gesunder Menschen« (Schock und Schöpfung S. 409). Zu diesem Zweck mußte der Körper befreit werden vom Zivilisationsballast der
Mode, der nur Entartung und Degeneriertheit übermalte. »Um das Erbmaterial des Volkskörpers zu verbessern, müssen die Geschlechter bereits vor der Paarung, sprich: der Hochzeitsnacht, Gelegenheit erhalten, einander hüllenlos zu mustern, auf dass die prächtigsten Exemplare der Gattung sich finden, Schwächlinge aber leer ausgehen und sich nicht fortpflanzen können.« (Schock und Schöpfung, S.409). Befreiung der Sexualität steht im Dienst der eugenischen Menschenzucht.

»Das geht nun aber zu weit«, werden Sie jetzt vielleicht einwenden. »Wir alle gehen ab und an nackt baden - sind wir deswegen Rassisten? Hat nicht die Freikörperkultur auch einen befreienden Wert gehabt? War die Bewegung nicht berechtigt gegen das Klima der Prüderie in der Wilhelminischen Gesellschaft?« So oder ähnlich versucht man zu differenzieren. Aber ich weiß nicht, ob das eine ganz ohne das andere zu haben ist.
Fidus, Lichtgebet, Aquarell, 1913
Die Ikone der deutschen Jugendbewegung ist Fidus' Lichtgebet. Die erste Fassung entstand 1908 und wurde wegen großer Nachfrage vom Künstler mehrmals wiederholt. Die letzte Fassung, die 1938 entstand, kaufte Reichsminister Martin Borman, Hitlers rechteste Hand. Für das kleine Portemonnaie gab es das »Lichtgebet« als Öldruck. Nach Frecot, Geist und Kerbs, den minutiös recherchierenden Biographen des Künstlers, hat in den 20er Jahren eine Reproduktion jeden zehnten Haushalt geschmückt. Zur Bildidee soll übrigens auch die Schweiz einen Beitrag geliefert haben: Nach der Inspirationslegende kam Fidus die Eingebung während eines Spaziergangs auf der Rigi.

Wer sich das Lichtkleid anzieht, dem schlüpft die Scham unter die Haut. Und das war auch das erklärte Ziel derer, die angeblich den Körper zur öffentlichen Nacktheit befreiten: » Wir sehen in der Nacktgymnastik das vorzüglichste Mittel zur Abhärtung der Haut, Kräftigung der Nerven und Stählung der Muskeln« lesen wir im Heft Kraft und Schönheit von 1904 (Schock und Schöpfung, S. 399). Die Freikörperkultur war ein Kreuzzug gegen die Lust. Der Körper gehörte entsexualisiert zu werden. Durch Gewöhnung sollten die erotischen Reize, welche sich die Geschlechter in verhüllter Form intim übermitteln, durch die klinische Atmosphäre der Öffentlichkeit abgetötet werden. Damit erwies sich die Befreiung als ein Danaergeschenk an die Jugend. Die Nacktheit als Protest jugendlicher Schönheit gegen die Alten wird von der Gesellschaft eingeholt und nutzbar gemacht zur öffentlichen Kontrolle des Eros. Die »Jugend« wurde kastriert mit den eigenen Mitteln des Protests. Sie wurde das Opfer des Schocks, den sie den Alten mit ihrer provozierend schönen Nacktheit zu bereiten trachtete.


Auch Fidus war nicht prüde. Einen Lebensborn im Jugendstil hat er um 1895 entworfen. Die Paarung sollte als öffentlicher Akt zelebriert werden. Wenn wir die Raumbezeichnungen auf dem Plan als Regieanweisung lesen, so hätten Frauen und Männer in Zweierkolonne zwecks Initiation ins Geschlechtsleben anzutreten vor dem Tempel der Erde. Der Weg hätte über die Freitreppe ins Innere des Gebäudes geführt, wo sich der Zug teilte: Die Frauen wären links durch den roten Raum geschritten, die Männer rechts durch den grünen. In der Rotunde hätten sich die beiden Züge wieder vereinigt zur rituell vollzogenen Massenkopulation.

 
 
Das Aus für Fidus kam offiziell 1941, als das Reichspropagandaministerium sein Bildnis des Führers für die Veröffentlichung verbot. Fidus, Spatenwacht, 1930.
Diese Hagall-Rune über Hitler, das war doch lächerlich! Die Darstellung des Führers durfte nicht enthusiastischen Spinnern überlassen werden.

Als die Sowjettruppen im April 1945 in Berlin-Woltersdorf einmarschierten, drangen ein paar Soldaten in das Fidushaus ein. Im künstlich verdunkelten Schauraum des Ateliers hing das Gemälde »Spatenwacht«. Nach der Legende sollen die Sowjets andächtig den Helm abgenommen haben: Sie glaubten, die Darstellung einer Kolchosfeier zu sehen. Se non e vero, e ben' trovato. Fidus arrangierte sich mit der Besatzungsmacht im Ostteil der Stadt. »Da ich von den ersten einmarschierenden Russen zumeist "angenehm enttäuscht" war, bekannte ich auf Ämtern, daß wir ein Lügenjoch los seien und daß ich gerade erst jetzt an einen europäischen Völkerfrühling glaube... Den Russen malte ich zu ihren Friedensfeiern Stalin und Lenin groß und der SED Rudolf Breitscheid. Dafür bekam ich etwas Brot und Kartoffeln und die Nährkarte 3.« 1946 wählte Fidus die CDU. Das Entnazifizierungsgesuch ist unterschrieben: »mit lichtdeutschem Heil U. S. Europa.« Er starb 1948 und hatte nichts gelernt.


Prof. Dr. Wyss lehrt Kunstgeschichte an der Ruhr Universität Bochum. Der vorliegende Text ist eine überarbeitete und gekürzte Fassung seines Vortrags im Rahmen einer Ringvorlesung zum Thema Rassismus an der Ruhr Universität Bochum im Sommer 1993.

(Quelle  Buchillustration 1920 


Erstellt am 18.01.99 - Letzte Änderung am 18.01.1999.